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Europäischer Elektroschrott trifft afrikanische Maker-Kultur

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Wie können Afrikaner mit Computerschrott aus Europa funktionsfähige, dreidimensionale Drucker herstellen? Mit denen sich beispielsweise leicht Ersatzteile produzieren lassen? Um auf diese Fragen eine Antwort zu finden, arbeiten Künstler aus dem westafrikanischen Togo mit deutschen Designern im Juli an der Pforzheimer Fakultät für Gestaltung beim Projekt „LowHighTech. E-waste for 3DprintAfrica!“ zusammen. Das von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Projekt startete im März 2017: Vier Pforzheimer reisten für einen ersten Workshop nach Togo.

Dr. Robert Eikmeyer, Katharina Baur, Stefan Barth und Martin Hailer flogen Ende März in die Hauptstadt Lomé. Im ersten Workshop haben sie mit zwölf afrikanischen Designerkollegen gemeinsam einen 3D-Drucker gebaut. In Togo herrscht tropisches Klima. „Vom ersten Augenblick an wurden wir zur Langsamkeit gezwungen“, berichtet Martin Hailer, Werkstattleiter des Studiengangs Industrial Design. „Schon beim ersten Kontakt mit den togolesischen Zollbeamten. Wieso haben wir drei Koffer voller elektronischer Bauteile dabei? Die für einen 3D-Drucker verwendet werden sollen? Die Sonderbehandlung im Büro des leitenden Beamten dauerte lange.“ 

Kooperationspartner der Fakultät für Gestaltung der Hochschule Pforzheim ist das Projekt WoeLab. Der künstlerische Leiter, Poet und Architekturvisionär Koffi Sénamé Agbodjinou gründete es 2012. Es ist ein Zusammenschluss von 15 Künstlern und Designern. Ihr Motto lautet „Mila Woe!“ („We gonna make it!“). Die Idee: die Bevölkerung zu befähigen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Digitale Techniken sollen auch für arme Menschen demokratisiert und weltweit zugänglich gemacht werden. Die Maker Culture – eine Subkultur des Selbermachens – ist in Afrika weit verbreitet. Sie sucht einfache, praktische Wege, um technische Probleme zu lösen. So genannte FabLabs (die englische Abkürzung für Fabrikationslabore, also Werkstätten) helfen dabei, den Weg für einen neuen Umgang mit Wertstoffen zu bereiten – denn die finden sich auch im Müll. 2014 entwickelte das WoeLab den aus recyceltem Elektroschrott zusammengebauten 3D-Drucker W.AFATE. Dieser erste in Afrika hergestellte 3D-Drucker sorgte weltweit für Aufsehen und gewann zahlreiche internationale Auszeichnungen. 

Koffi Sénamé Agbodjinou wurde 1980 in Togo geboren. Das Land war von 1884 bis 1916 eine deutsche Kolonie. In Lomé wohnen heute rund 760.000 Einwohner. Hier befindet sich der weltgrößte Markt für Voodoo. Die Hauptstadt liegt am Golf von Guinea am Atlantischen Ozean. So ist der Hafen ein wichtiger Teil des wirtschaftlichen Zentrums, ebenso ein Stahlwerk, eine Erdölraffinerie und ein Großkraftwerk. „Das WoeLab Zero befindet sich im Wohnviertel Above“, berichtet Katharina Baur, die deutsche Koordinatorin des Projekts. „Die Designer haben ein mehrstöckiges Gebäude mit Unterrichtsräumen, Büros, Arbeitsplätzen und Küche gemietet. Die große Dachterrasse nutzen sie als Werkstatt. Während unseres Workshops werden wir diesen luftigen Arbeitsplatz noch sehr zu schätzen wissen!“ Die Nachbarschaft besteht aus einfachen Häusern, Hütten und kleinen Geschäften. Wohlstand offenbart sich durch auf Kühlschranktemperatur herunter gekühlte Räume. Männer transportieren Leitern, Fenster und Holzkohlesäcke auf ihren Knatterkisten. Frauen tragen alles auf den Kopf. Zum Beispiel verbeulte Schüsseln aus Aluminium, so groß wie Autoreifen. Sie sind randvoll mit Wasser oder aufgeschichteten Backsteinen gefüllt. „Von der Dachterrasse sehen wir einen schwarz verkohlten, qualmenden Platz. Hier werden tagtäglich, unter primitivsten Umständen, dutzende Ziegen geschlachtet und ausgenommen. Direkt daneben türmt sich ein ewig schwelender Müllberg.“ Kaputte Computer, Drucker und Scanner sowie weiteren Elektroschrott aus Europa hat Togo im Überfluss. 

„Die Menschen scheinen in einem stoischen Aushalten der Umstände und einem beständigen Improvisieren zu leben“, fasst Katharina Baur ihre Erlebnisse zusammen. „Ich war beeindruckt von der Gleichzeitigkeit an Moderne und Rückständigkeit. Das Smartphone ist in Lomé fast so gegenwärtig wie bei uns. Besonders junge Leute beschäftigen sich ununterbrochen mit ihren Telefonen. Aber direkt daneben bestellt eine Familie mit einfachsten Mitteln ein Stückchen Land, mitten in der Stadt.“ „Während des Workshops schwankten wir zwischen: ‚das wird schon’ – und ‚das wird nie was’“, sagt Martin Hailer. Es braucht nicht nur Technik für eine interkulturelle Zusammenarbeit. „Wir neigten zu schnellen Urteilen: zu hemdsärmelig, zu unprofessionell, zu unverbindlich. Wir klagten, wenn es zäh wurde. Doch plötzlich passiert ganz Erstaunliches, es öffneten sich Türen, als wir gar nicht mehr damit rechneten.“ 

Im Juli 2017 kommen die afrikanischen Designer für den nächsten Workshop nach Baden-Württemberg. Was werden ihre Eindrücke sein? „Unsere Vorstellung von Tanz und überschäumendem Temperament der Westafrikaner – sie entlarvte sich schnell als Folklore“, sagt Hailer. „So wie umgekehrt auch wir mehr zu bieten haben als Oktoberfest und Schwarzwälder Schinken.“ 

Das Projekt „LowHighTech“ umfasst den bilateralen Workshop „We gonna make it!“, in dem vom 11. bis 13. Juli 2017 Togolesen und Deutsche in Pforzheim zusammenarbeiten; und die internationale Konferenz „LowHighTech – Demokratie durch Technologie“ am 12. Juli 2017 in Pforzheim. Zusätzlich entsteht ein Film des Videokünstlers Marcel Odenbach und seines Kameramanns Frederik Walker, die bereits mehrmals mit Dr. Robert Eikmeyer kooperiert haben. Sie haben die Reise der Pforzheimer nach Togo begleitet. Zum einen, um Spuren der ehemaligen deutschen Kolonie aufzuzeichnen, zum anderen, um die dystopische Elektroschrott-Deponien zu zeigen. Marcel Odenbach lebt unter anderem in Ghana und hat wiederholt gesellschaftliche und  zeitgeschichtliche Themen Afrikas behandelt. „Ich kann mir keinen besseren Botschafter für das Projekt vorstellen als Marcel Odenbach. Sein Film beginnt symbolträchtig mit der ehemaligen Landungsbrücke der deutschen „Musterkolonie“ Togo und schlägt über Aufnahmen weiterer Kolonialbauten und historisches Found-Footage-Material geschickt den Bogen hin zum Heute und den Akteuren des WoeLab“, so Dr. Robert Eikmeyer. 

„LowHighTech“ wird von April 2017 bis Mai 2018 von der Kulturstiftung des Bundes gefördert. Mit dem Fonds TURN regt die Kulturstiftung des Bundes unterschiedliche Institutionen in Deutschland an, sich mit dem künstlerischen Schaffen und den kulturellen Debatten in afrikanischen Ländern zu beschäftigen. 

Sämtliche Ergebnisse zeigt die Fakultät für Gestaltung im Rahmen der Designwoche vom 11. bis 16. Juli 2017 und präsentiert sie auf der re:publica im Mai 2018. Diese Konferenz in Berlin fokussiert sich auf die digitale Gesellschaft und findet seit 2007 jedes Jahr statt. 

Den Werkprozess dokumentiert ein eigener Blog: <link http: www.lowhightech.de>www.lowhightech.de

Pressekontakt: <link mail den link auf der gleichen>birgit.meyer@hs-pforzheim.de, Tel: +49 (7231) 28-6718